Liebe Feminist*innen, liebe Freund*innen,
wir von ultraviolett* – feministische Frauen*gruppe aus Hamm – freuen uns heute mit euch auf der Straße zu sein, um gemeinsam ein Zeichen gegen Rassismus und für die Unterstützung von Geflüchteten zu setzen!
Derzeit sind knapp 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals verzeichnet wurde. Und sie wächst weiter. 2014 wurden ca 14 Millionen Menschen zur Flucht getrieben – viermal so viele wie noch 2010. Jeden Tag machen sich 43000 Menschen auf den Weg auf der Suche nach Frieden, Sicherheit und einem neuen Leben. Mindestens 50 Prozent aller Flüchtlinge sind Frauen* und Mädchen*. Der Anteil weiblicher Geflüchteter die in Deutschland ankommen, liegt jedoch nur bei 25%, so dass sich in den Köpfen der meisten Deutschen der Stereotyp vom jungen, männlichen Flüchtling festgesetzt hat. Welche Probleme und Hürden führen also dazu, dass Frauen* es meistens nicht bis nach Europa schaffen?
Die Auflösung sozialer Strukturen einer Gesellschaft führt zur Zunahme der Gewaltbereitschaft. In vielen Bürgerkriegen gehören systematische Vergewaltigung von Frauen* und Mädchen* zur erklärten Kriegsstrategie. Frauen* verlassen ihre Heimat meist allein mit den Kindern und älteren Familienangehörigen weil ihre Ehemänner, Väter oder Brüder getötet, gefangengenommen oder als Rebellen oder Soldaten eingezogen wurden. Unter schwierigsten Bedingungen sichern diese Frauen* das Überleben ihrer Familien.
Aber sie sind nicht nur in Kriegs- oder Konfliktsituationen von Gewalt bedroht. Die spezifischen Fluchtgründe, rühren meistens daher, dass Frauen* den engen Rahmen ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle nicht einhalten können. Die fehlende Möglichkeit über sich selbst und den eigenen Körper zu bestimmen, sowie Unterdrückungsmechanismen, auch seitens der eigenen Familie, führen dazu, dass sich Frauen* auf eine gefährliche Flucht einlassen. Sie fliehen größtenteils vor nichtstaatlichen Repressionen wie zum Beispiel Zwangsverheiratung, Witwenverbrennung, Genitalverstümmelung und Zwangsprostitution. Verfolgung wird also meist an Normen geknüpft, die eng mit ihrer Sexualität und dem Ehranspruch der Familie zusammenhängen.
Ist die Flucht aus den Wirkungskreisen der Unterdrücker*innen gelungen, bleibt der weite Weg nach Europa, dennoch fast unmöglich. Da Frauen* selten allein und oft mit Kindern und Älteren reisen, führt ihre Flucht sie oft in nahegelegene Gebiete oder in Nachbarstaaten. Sie gehören also zu den Binnenvertriebenen. Da sie keine Landesgrenzen überschreiten, sind sie nicht durch internationale Abkommen geschützt, obwohl sie sich in sehr ähnlichen Situationen befinden, wie andere Geflüchtete. Die meisten Binnenvertriebenen leben in den Ländern Syrien, Kolumbien und Irak.
Frauen* wird während und nach der Flucht kein Schutzraum geboten. Die Lager sind meist überfüllt und schlecht ausgestattet. Frauen*, die mit ihrer Familie reisen, jedoch nicht in Begleitung eines männlichen Oberhauptes sind, haben Probleme als Haushalt anerkannt zu werden – dies führt dazu dass sie bei der Verteilung von Hilfsgütern und Lebensmitteln nicht beachtet werden. Schlechte Lichtverhältnisse bei Nacht, ungenügender Schutz vor Eindringlingen von außen und abgelegene sanitäre Anlagen führen außerdem dazu, dass Frauen* in ständiger Angst vor sexualisierten Übergriffen leben. Tatsächlich erfahren 70 % von ihnen sexualisierte Gewalt während ihrer Flucht.
Sollten Frauen* es doch über das Mittelmeer nach Europa schaffen, erwarten sie hier flüchtlingsfeindliche Hetze und rassistisch-sexistische Gesetze. Anspruch auf Asyl erhalten nur Menschen, welche vom Staat ausgehender Gewalt fliehen. Krasse Patriarchale Zustände und sexistische Gesetzgebungen sind nicht Grund genug, um in Deutschland ein neues Leben beginnen zu dürfen. Frauen*, die vor ehrbezogener Gewalt aus der eigenen Familie geflohen sind, fallen also nicht unter das Asylschutzgesetz, da dieses den Behörden zu Spielraum lässt bei der Entscheidung über angemessene Fluchtgründe.
Auch in Deutschland gibt es keine geschlechtsspezifische Betreuung von Asylsuchenden. Die unterschiedlichen Traumata der Menschen bleiben oft unzureichend behandelt. Frauen*, die sich im Migrationsprozess befinden, sind noch häufiger Gewaltsituationen ausgesetzt und haben oft weniger Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Diese verstärkte Verletzbarkeit liegt unter anderem daran, dass viele sich ihrer Rechte nicht bewusst sind, sich nicht informieren können bzw. sozial isoliert sind.
Wir von ultraviolett* fordern deshalb eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten, welche sich auch an geschlechtsspezifischen Belangen orientiert. Vertriebene sind keine homogene Gruppe, sie haben individuelle Bedürfnisse und verdienen das Recht, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Es gibt zu wenig Infrastruktur und Sozialarbeiter*innen und der Staat ist hier dazu aufgerufen, mehr Mittel zu investieren. Geflüchtete brauchen geschützten Wohnraum, um hier mit ihren Familien ein sicheres Leben zu führen.
Aber wir fordern vor allem ein uneingeschränktes Bleiberecht für alle und damit auch ein Stop der Illegalisierung von Menschen*!* Ein geopolitischer Lösungsansatz weltweiter Konflikte, welche Hauptgrund für die Flüchtlingsströme sind, muss eine Staatengemeinschaft zu leisten bereit sein.
Gemeinsam stehen wir heute auf der Straße, um Solidarität zu zeigen. Wir wollen die menschenunwürdigen Zustände, in denen Geflüchtete leben, nicht länger akzeptieren. Wir wollen nicht länger aktzeptieren, was die Rhetorik der herrschenden Politik aus Geflüchteten macht. Geflüchtete sind nicht *Verursacher*innen* dieser Krise. Die Ignoranz, Abschottung und der Egoismus der westlichen Welt sind der Grund für das was wir heute Flüchtlingskrise nennen.
Flüchtlinge sind nicht das Problem, das Problem heißt Rassismus. Denn ein befreites und sicheres Leben ist für alle möglich!