„Auch im März 2017 werden an einem Samstag wieder fundamentalistische Christ*innen mit weißen Holzkreuzen durch Münster marschieren. Unter dem Motto „1000-Kreuze-für-das-Leben“ demonstrieren sie mit ihrem Gebetszug vor allem gegen ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch und damit gegen das Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Personen. Die 1000 Kreuze sollen sinnbildlich für die, so behaupten sie, 1000 am Tag abgetriebenen Föten stehen. Diese Zahl ist absolut haltlos.
Das politische und christlich-religiöse Spektrum der Teilnehmer*innen ist breit gefächert. Das mit dem Gebetszug propagierte Weltbild impliziert reaktionäre Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Familienleben: Queere Identitäten werden abgelehnt, Homosexualität und alle Formen des Begehrens abseits der heterosexuellen Zweierbeziehung verachtet. Sex soll vorallem der Fortpflanzung dienen und in der Ehe stattfinden. Deswegen werden auch Verhütungsmittel von einem Teil der Abtreibungsgegner*innen abgelehnt.
Alle Teilnehmenden des sogenannten „Gebetszugs“ vereint ein zweifelhafter Lebensschutzgedanke. Das Leben, das es für sie zu schützen gilt, ist das eines Fötus, nicht das der schwangeren Person.
In ihrer Argumentation setzen sie selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche mit der vom NS-Staat organisierten und durchgeführten ‚Euthanasie‘ gleich. ‚Euthanasie‘ war die systematische Ermordung von als ‚unwertes Leben‘ kategorisierten Menschen seitens der Nationalsozialist*innen. Als „unwert“ wurden Menschen mit sogenannter „körperlicher“ und/oder „geistiger bzw. psychischer Beeinträchtigung“ erklärt.
Anknüpfungspunkt für die fundamentalistischen Christ*innen ist der Umstand, dass mit Hilfe von selektiver Pränataldiagnostik immer häufiger nach sog. von der Norm abweichende Föten, gesucht wird. Diese Untersuchungen setzten schwangere Personen unter Druck, nur vermeintlich „gesunde“ Föten auszutragen. Tatsächlich ist die Kritik an vorgeburtlichen Untersuchungen angebracht, die ausschließlich der Selektion von Embryonen mit möglicher „Behinderung“ dienen. Es ist falsch, Frauen*rechte und Rechte von Menschen mit „Behinderungen“ gegeneinander auszuspielen.
Zudem beruft sich ein Teil der selbsternannten ‚Lebensschützer*innen‘ auf völkische Argumentationsmuster : Durch Schwangerschaftsabbrüche sterbe das ‚deutsche Volk‘ aus(wahlweise auch das ‚europäische Volk‘) oder gerate in die Minderheit. Weil diese Vorstellung sich mit den „Islamisierungsängsten“ von Rechtspopulist*innen und „Besorgten Bürger*innen“ überschneidet, ziehen Veranstaltungen wie der sogenannte Gebetszug auch immer wieder Personen und Gruppen aus dem völkisch-rechten Spektrum, wie zum Beispiel Identitäre Bewegung, Neonazis und AFD, an.
Die Bundestagswahl und verschiedene Landtagswahlen stehen an. Mit der AfD zieht wahrscheinlich eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag ein, die in den aktuellen rassistischen Diskussionen um Flucht und Migration massiv Stimmung macht. Neben ihrem – mal mehr, mal weniger – offen formuliertem Rassismus und ihren neoliberalen Forderungen setzt die Partei auch auf eine reaktionäre Geschlechter– und Familienpolitik. Ihre Forderungen richten sich gegen alternative Lebens- und Familienmodelle, gegen einen von ihnen als „Genderismus“ bezeichnete, Gleichstellungspolitik in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, und auch das Thema Schwangerschaftsabbruch ist Teil ihrer Agenda. Teile der AFD möchten zu einem vollständigen Abtreibungsverbot zurück und fordern eine „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“. Sie stellen sich gegen jegliche Finanzierung von Abbrüchen durch den Staat. Diese Haltung fügt sich in ihre Wunschvorstellung eines stark autoritären Staates und einer ebenso strukturierten Gesellschaft ein. Hierbei bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für die selbsternannten ‚Lebenschützer*innen‘ und Gleichgesinnte. Viele der Themen, mit denen sich die AFD beschäftigt sind schon seit langem Teil der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Lobbyverbände wie „Christdemokraten für das Leben“ setzten sich seit Jahren in Deutschland und der EU für die Abschaffung straffreier Schwangerschaftsabbrüche ein. Rassistische Stimmungen, Gewalt gegen Geflüchtete und strukturellen Rassismus gab es auch schon vor der AFD!
Das Erstarken reaktionärer Kräfte beschränkt sich dabei nicht nur auf Deutschland. Auch anderswo feiern rechtpopulistische Parteien und Bewegungen mit antiemanzipatorischer Politik Erfolge, wie Beispiele in Frankreich, Polen oder in den USA zeigen. Sichtbar wurde dies unter Anderem in Polen, als christliche Rechte einen Gesetzentwurf einbrachten, der Schwangerschaftsabbrüche per se unter Strafe stellen sollte. Breiter, offener und wütender Protest konnte dies verhindern.
Klar ist in jedem Fall: Die erreichten Erfolge und Teilerfoge emanzipatorischer und feministischer Kämpfe sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen auch in Zukunft verteidigt und als Anknüpfungspunkt für weitere Veränderungen genutzt werden. Es ist Zeit, sich gemeinsam zu organisieren, zu vernetzen und emanzipatorische Forderungen auf die Straße zu tragen!
Darum:
Kommmt am 18.03.20147 um 12 Uhr nach Münster!“
Mehr Infos und unsere ausführliche Kritik findet ihr hier: gegen1000kreuze